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Geschriebenes - Philosophiestunde

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Geschriebenes

Verhältnis von FORM und INHALT als STIL
Ich fürchte mich so vor der Menschen Wort

Ich fürchte mich so vor der Menschen Wort.
Sie sprechen alles so deutlich aus:
Und dieses heißt Hund und jenes heißt Haus,
und hier ist Beginn, und das Ende ist dort.

Mich bangt auch ihr Sinn, ihr Spiel mit dem Spott,
sie wissen alles, was wird und war;
kein Berg ist ihnen mehr wunderbar;
ihr Garten und Gut grenzt grade an Gott.

Ich will immer warnen und wehren: Bleibt fern.
Die Dinge singen hör ich so gern.
Ihr rührt sie an: sie sind starr und stumm.
Ihr bringt mir alle die Dinge um.

Rainer Maria Rilke
(1875 – 1926)
Ernst Stadler
Form ist Wollust
Form und Riegel mußten erst zerspringen,
Welt durch aufgeschlossne Röhren dringen:
Form ist Wollust, Friede, himmlisches Genügen,
Doch mich reißt es, Ackerschollen umzupflügen.
Form will mich verschnüren und verengen,
Doch ich will mein Sein in alle Weiten drängen –
Form ist klare Härte ohn' Erbarmen,
Doch mich treibt es zu den Dumpfen, zu den Armen,
Und in grenzenlosem Michverschenken
Will mich Leben mit Erfüllung tränken.
* 11. 8. 1883 Colmar, 30. 10. 1914
ARTHUR SCHOPENHAUER  Über Schriftstellerei und Stil (Ausıüge)
 
§. 232.  Der Stil ist die Physiognomie des Geistes. Sie ist untrüglicher als die des Leibes. Fremden Stil nachahmen heißt eine  Maske tragen. Wäre diese auch noch so schön, so wird sie,  durch das Leblose, bald insipid (abgeschmackt (Anm. des Hrsg.) und unerträglich; so daß  selbst das häßlichste lebendige Gesicht besser ist. Damm  gleichen denn auch die lateinisch schreibenden Schriftsteller, welche den Stil der Alten nachahmen, doch eigentlich  den Masken: man hört nämlich wohl was sie sagen; aber  man sieht nicht auch dazu ihre Physiognomie, den Stil.  Wohl aber sieht man auch diese in den lateinischen Schriften der Selbstdenker, als welche sich zu jener Nachahmung (abgeschmackt nicht bequemt haben, wie z.B. Skotus, Erigena, Petrarca,  Bako, Kartesius, Spinoza, u.a.m.  Affektation im Stil ist dem Gesichterschneiden zu vergle chen. Die Sprache, in welcher man schreibt, ist die Nationalphysio-gnomie: sie stellt große Unterschiede fest - von der Griechischen bis zur Karaibischen. -  Stilfehler soll man in fremden Schriften entdecken, um sie  in den eigenen zu vermeiden.  
 
§. 283.  (. . .) Belustigend ist es, zu sehn, wie, zu diesem Zwecke,  bald diese bald jene Manier versucht wird, um sie als eine  den Geist vorstellende Maske vorzunehmen, welche dann  auch wohl auf eine Weile die Unerfahrenen täuscht, bis  auch sie eben als tote Maske erkannt, verlacht und dann  gegen eine andere vertauscht wird. Da sieht man Schriftsteller bald dithyrambisch, wie besoffen, und bald, ja  schon auf der nächsten Seite, hochtrabend-, ernst-, gründlich-gelehrt, bis zur schwerfälligsten, kleinkauendsten  Weitschweifigkeit, gleich der des Weiland Christian Wolff,  wiewohl im modernen Gewande. Am längsten aber hält  die Maske der Unverständlichkeit vor, jedoch nur in  Deutschland, als wo sie, von Fichte eingeführt, von Schelling vervollkommnet, endlich in Hegel ihren höchsten  Klimax erreicht hat: stets mit glücklichstem Erfolge. Und  doch ist nichts leichter, als so zu schreiben, daß kein  Mensch es versteht; wie hingegen nichts schwerer, als bedeutende Gedanken so auszudrücken, daß Jeder sie  verstehn muß. Alle oben angeführten Künste nun aber  macht die wirkliche Anwesenheit des Geistes entbehrlich:  denn sie erlaubt, daß man sich zeige, wie man ist, und be-  stätigt allezeit den Ausspruch des Horaz:  2 Bezug: „den Schein des Geistes hervorzubringen, um den so  schmerzlich gefühlten Mangel desselben zu ersetzen" (Anm. des  Hrsg.).        
HEINRICH von Kleist: Brief eines Dichters an einen anderen
Mein teurer Freund! Jüngsthin, als ich dich bei der Lektüre
meiner Gedichte fand, verbreitetest du dich, mit außerordentlicher Beredsamkeit, über die Form, und unter beifälligen Rückblicken über die Schule, nach der ich mich, wie du vorauszusetzen beliebst, gebildet habe; rühmtest du mir auf eine Art, die mich zu beschämen geschickt war, bald die Zweckmäßigkeit des dabei zum Grunde liegenden Metrums, bald den Rhythmus, bald den Reiz des Wohlklangs und bald die Reinheit und Richtigkeit des Ausdrucks und der Sprache überhaupt.
Erlaube mir, dir zu sagen, daß dein Gemüt hier auf Vorzügen verweilt, die ihren größesten Wert dadurch bewiesen haben würden, daß du sie gar nicht bemerkt hättest. Wenn ich beim Dichten in meinen Busen fassen, meinen Gedanken ergreifen, und mit Händen, ohne weitere Zutat, in den deinigen legen könnte: so wäre, die Wahrheit zu gestehn, die ganze innere Forderung meiner Seele erfüllt. Und auch dir, Freund, dünkt mich, bliebe nichts zu wünschen übrig: dem Durstigen kommt es, als solchem, auf die Schale nicht an, sondern auf die Früchte, die man ihm darin bringt. Nur weil der Gedanke, um zu erscheinen, wie jene flüchtigen, undarstellbaren, chemischen Stoffe, mit etwas Gröberem, Körperlichen, verbunden sein muß: nur darum bediene ich mich, wenn ich mich dir mitteilen will, und nur darum bedarfst du, um mich zu verstehen, der Rede. Sprache, Rhythmus, Wohlklang usw., und so reizend diese Dinge auch, insofern sie den Geist einhüllen, sein mögen, so sind sie doch an und für sich, aus diesem höheren Gesichtspunkt betrachtet, nichts, als ein wahrer, obschon natürlicher und notwendiger Übelstand; und die Kunst kann, in Bezug auf sie, auf nichts gehen, als sie möglichst verschwinden zu machen. Ich bemühe mich aus meinen besten Kräften, dem Ausdruck Klarheit, dem Versbau Bedeutung, dem Klang der Worte Anmut und Leben zu geben: aber bloß, damit diese Dinge gar nicht, vielmehr einzig und allein der Gedanke, den sie einschließen, erscheine. Denn das ist die Eigenschaft aller echten Form, daß der Geist augenblicklich und unmittelbar daraus hervortritt, während die mangelhafte ihn, wie ein schlechter Spiegel, gebunden hält, und uns an nichts erinnert, als an sich selbst. Wenn du mir daher, in dem Moment der ersten Empfängnis, die Form meiner kleinen, anspruchslosen Dichterwerke lobst: so erweckst du in mir, auf natürlichem Wege, die Besorgnis, daß darin ganz falsche rhythmische und prosodische Reize enthalten sind, und daß dein Gemüt, durch den Wortklang oder den Versbau, ganz und gar von dem, worauf es mir eigentlich ankam, abgezogen worden ist. Denn warum solltest du sonst dem Geist, den ich in die Schranken zu rufen bemüht war, nicht Rede stehen, und grade wie im Gespräch, ohne auf das Kleid meines Gedankens zu achten, ihm selbst, mit deinem Geiste, entgegentreten? Aber diese Unempfindlichkeit gegen das Wesen und den Kern der Poesie, bei der, bis zur Krankheit, ausgebildeten Reizbarkeit für das Zufällige und die Form, klebt deinem Gemüt überhaupt, meine ich, von der Schule an, aus welcher du stammst; ohne Zweifel gegen die Absicht dieser Schule, welche selbst geistreicher war, als irgend eine, die je unter uns auftrat, obschon nicht ganz, bei dem paradoxen Mutwillen ihrer Lehrart, ohne ihre Schuld. Auch bei der Lektüre von ganz anderen Dichterwerken, als der meinigen, bemerke ich, daß dein Auge (um es dir mit einem Sprichwort zu sagen) den Wald vor seinen Bäumen nicht sieht. Wie nichtig oft, wenn wir den Shakespeare zur Hand nehmen, sind die Interessen, auf welchen du mit deinem Gefühl verweilst, in Vergleich mit den großen, erhabenen, weltbürgerlichen, die vielleicht nach der Absicht dieses herrlichen Dichters in deinem Herzen anklingen sollten! Was kümmert mich, auf den Schlachtfeldern von Agincourt, der Witz der Wortspiele, die darauf gewechselt werden; und wenn Ophelia vom Hamlet sagt: „welch ein edler Geist ward hier zerstört!“ - oder Macduff vom Macbeth: „er hat keine Kinder!“ - Was liegt an Jamben, Reimen, Assonanzen und dergleichen Vorzügen, für welche dein Ohr stets, als gäbe es gar keine andere, gespitzt ist? -Lebe wohl!
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