Gewesenes - Philosophiestunde

Direkt zum Seiteninhalt

Gewesenes

Fortsetzung folgt
 
Rituals
Philosophie und Mythos

a) Begriff des Mythos
An der Schwelle der griechischen Philosophie steht  etwas an sich Unphilosophisches, der Mythos. Er ist der Glaube der Gemeinschaft in den großen Fragen von Welt und Leben, Göttern und Menschen, der dem Volk angibt, was es hier zu denken und zu tun hat. Man übernimmt ihn aus der Überlieferung des Volkes, unreflektiert, gläubig und blind. Wie Aristoteles bemerkt, ist aber der Freund des Mythos trotzdem in gewisser Hinsicht auch schon ein Philosoph; deswegen, weil er sich im Mythos mit Problemen beschäftigt, die auch wieder die Probleme der Philosophie sind. Und darum erwähnt Aristoteles, wenn er die Vorgeschichte einer philosophischen Frage und ihrer Lösungsversuche anführt, gerne auch die Meinungen der »ganz Alten«, die »einst am Anfang theologisierten« (hoi prôtoi theologêsantes).
b) Mythologie Homers und Hesiods        
In Frage kommen hier zunächst Homer und Hesiod  und ihre Lehren über die Herkunft der Götter (Theogonien) und die Entstehung der Welt (Kosmogonien). So wäre nach der Mythologie Homers die Ursache für alles Werden zu suchen in den Meergottheiten Okeanos und Tethys sowie in dem Wasser, bei dem die  Götter zu schwören pflegen und das die Dichter Styx heißen. Bei Hesiod erscheinen das Chaos, der Äther und der Eros als die Uranfänge des Alls. Aber auch  andere Probleme werden angeschnitten: Die Vergänglichkeit des Lebens, der Ursprung des Übels, die Frage von Verantwortung und Schuld, Schicksal und  Notwendigkeit, das Leben nach dem Tode und ähnliches. Immer wirkt sich dabei ein ganz und gar bild haftes Denken aus, das einen konkreten Einzelfall intuitiv mit den hellen Augen des Dichters erlebt und dann die Intuition verallgemeinernd auf Leben und Welt überhaupt überträgt und so das ganze Sein und  Geschehen deutet.
c) Orphik        
Im 6. Jahrhundert kam von den Bergen Thrakiens  herab eine neue Mythologie nach Griechenland. In ihrem Mittelpunkt steht der Gott Dionysos, ihr Priester ist Orpheus, der thrakische Sänger und Wundermann. Nietzsche hat später Dionysos zum Symbol des  Lebens und des Jasagens zum Leben in allen seinen   Höhen und Tiefen gemacht. Der Weingott Dionysos   war auch tatsächlich ein Gott des Lebens, nämlich der  zeugenden Natur, und wurde in den Bacchanalien in  enthusiastischer Erdnähe verehrt. Die Dogmatik der  Orphiker war aber alles andere als Lebensbejahung.   Wir haben es hier vielmehr zu tun mit einer seltsamen  Mischung von Askese und Mystik, Seelenkult und  Jenseitshoffnung, wie das dem Volke Homers noch   ganz fremd war. Die Seele ist jetzt nicht mehr Blut,   sondern Geist; stammt aus einer anderen Welt; ist auf   diese Erde verbannt zur Strafe für eine alte Schuld; ist  an den Leib gefesselt und muß mit ihm eine weite  Wanderung durchmachen, bis sie von der Sinnlichkeit  erlöst wird. Ein Weg zu der erstrebten Reinigung von   der Sinnlichkeit waren eine Reihe von Speiseverboten, so von Fleisch und Bohnen. Goldplättchen, die   man dem Toten mit ins Grab gab, bestätigten seiner   Seele, daß sie »als Reine von den Reinen« kommt und»dem beschwerlichen Kreise der Geburten entflogen«   sei. Die Anschauungen der Orphiker über das Schicksal der Seele nach dem Tode werden widergespiegelt   in den großen eschatologischen Mythen in den platonischen Dialogen Gorgias, Phaidon und Politeia. Die   orphische Dogmatik besaß auch bereits eine gut aus-  gebildete Theologie und Kosmogonie. Danach stehen   am Anfang das Chaos und die Nacht. »Chaos« ist   dabei wörtlich als gähnende Leere oder Kluft zu neh-  men. Die Nacht habe ein Ei, das Weltei, erzeugt und   daraus sei ein geflügelter Eros hervorgegangen. »Und   dieser, mit der gähnenden Kluft gepaart, der geflügel- ten, nächtlichen, im weiten Tartaros, heckte unser Geschlecht aus und führte es empor ans Licht. Vorher   war nicht ein Geschlecht der Unsterblichen, bevor   Eros alles miteinander verband; wie sich aber verband  das eine mit dem anderen, entstanden Himmel und   Ozean und Erde und aller Götter unsterblich Geschlecht.« Nach einer späteren Quelle wäre der Uranfang des Kosmos ein Drache mit den Köpfen eines   Stieres und Löwen; in der Mitte aber habe er das Gesicht eines Gottes und an den Schultern Flügel. Bekannt sei er als der nichtalternde Zeitgott. Der Drache   erzeuge einen dreifachen Samen, den feuchten Äther,   die grenzenlose, gähnende Kluft und das neblige Dunkel, dazu auch wieder ein Weltei.  All dies ist phantasievolle, dichterische Intuition. Man hat in der orphischen Mythologie »handgreiflich« orientalische Tradition gesehen. Insbesondere   wäre der Dualismus von Leib und Seele, Diesseits   und Jenseits und überhaupt die weltflüchtige Lebens-  form »ein Tropfen fremden Blutes« im Griechentum.   Ursprungsland dieser Anschauungen mag tatsächlich   Indien gewesen sein, wo solche Ideen nach 800 v.   Chr. in den Upanishaden, den theologischen Erklä-  rungsschriften zu den Veden, auftreten. Sie finden  sich auch in der Religion Zoroasters auf der Hochebene des Iran, wie sich aus den ältesten Gâthas des Zendavest ergibt. Diese Anschauungen wären dann aber immer noch arisches Geistesgut.
d) Mythos und Logos
Viel wichtiger jedoch als die Frage der Herkunft ist  das Nachleben dieser Begriffe. Aristoteles hat gegenüber dem Mythos mit Recht gesagt (Met. 4), daß er nicht Wissenschaft wäre, weil diese archaischen   »Theologen« nur das traditionelle Lehrgut weitergaben, aber keine Beweise lieferten. Er stellt ihnen jene   gegenüber, »die auf Grund von Beweisen reden« (hoi   di' apodeixeôs legontes), von denen man darum ein   echtes »Überzeugen« erwarten kann. Damit sind die   Philosophen gemeint. Durch dieses methodische Moment des Zweifels, des Beweisens und Begründens unterscheidet er nun doch Mythos und Philosophie, obwohl er zunächst zugegeben hatte, daß der   Freund des Mythos in gewisser Hinsicht auch Philosoph sei. Die Philosophie ist gegenüber dem Mythos   wirklich etwas Neues. Man lebt nicht mehr blindgläub aus dem Geistesgut der Gemeinschaft, sondern   das Individuum wird ganz auf sich selbst gestellt und  muß sich frei und mündig nun allein erarbeiten, prüfend und beweisend, was es denken und für wahr halten will. Das ist eine andere Geisteshaltung als die des Mythos. Trotzdem darf nicht übersehen werden, daß die Fragestellungen des Mythos, wie auch seine  begrifflichen Intuitionen, die in grauer, unkritischer  Vorzeit entstanden sind, auch in der philosophischen   Begriffssprache noch weiterleben. Für die philosophische Erkenntniskritik entsteht hier die Aufgabe, zu   prüfen, ob die vermeintlichen rationalen Denkmittel   der Philosophie auch wirklich alle rational begründet   sind. Vielleicht sind sie es nicht; und zwar nicht nur   aus einem Versagen, sondern auch deswegen, weil der  Geist weiter ist als das »Wissen« und den Mythos in   einem positiven Sinn als einen eigenen Weg zur   Weisheit einschließt, so daß nur der Wissenschaftsgläubige der Aufklärung entmythologisieren will, während Aristoteles mit Recht sagt, daß auch der Mythos - auf seine Weise - philosophiere.                               [Hirschberger: Geschichte der Philosophie. Band I. Geschichte der Philosophie, S. 8678  (vgl. Hirschberger-Gesch. Bd. 1, S. 14 ff.)]     
 



  







Weitere folgen

EPIKUR
Die Bedeutungslosigkeit des Todes
 
Wer noch jung ist, der soll sich in der Philosophie befleißigen, und wer alt ist, soll nicht  müde werden zu philosophieren. Denn niemand kann früh genug anfangen für seine Seelengesundheit zu sorgen und für niemanden ist die Zeit dazu zu spät. Wer da sagt, die Stunde zum Philosophieren sei für ihn noch nicht erschienen oder bereits entschwunden, der  gleicht dem, der behauptet, die Zeit für die Glückseligkeit sei noch nicht da oder nicht  mehr da. Es gilt also zu philosophieren für jung und für alt, auf daß der eine auch im Alter  noch jung bleibe auf Grund des Guten, das ihm durch des Schicksals Gunst zuteil geworden, der andere aber Jugend und Alter in sich vereinige dank der Furchtlosigkeit vor der  Zukunft. Also gilt es unsern vollen Eifer dem zuzuwenden, was uns zur Glückseligkeit verhilft, denn haben wir sie, so haben wir alles, fehlt sie uns aber, so setzen wir alles daran, sie uns zu eigen zu machen. (...)
 
Gewöhne Dich auch an den Gedanken, daß es mit dem Tode für uns nichts auf sich hat.  Denn alles Gute und Schlimme beruht auf Empfindung: der Tod aber ist die Aufhebung  der Empfindung. Daher macht die rechte Erkenntnis von der Bedeutungslosigkeit des Todes für uns die Sterblichkeit des Lebens erst zu einer Quelle der Lust, indem sie uns nicht ei-  ne endlose Zeit als künftige Fortsetzung in Aussicht stellt, sondern dem Verlangen nach  Unsterblichkeit ein Ende macht. Denn das Leben hat für den nichts Schreckliches, der sich  wirklich klar gemacht hat, daß in dem Nichtleben nichts Schreckliches liegt. Wer also sagt,  er fürchte den Tod, nicht etwa weil er uns Schmerz bereiten wird, wenn er sich einstellt,  sondern weil er uns jetzt schon Schmerz bereitet durch sein dereinstiges Kommen, der redet  ins Blaue hinein. Denn was uns, wem es sich wirklich einstellt, nicht stört, das kann uns,  wenn man es erst erwartet, keinen anderen als nur einen eingebildeten Schmerz bereiten. Das angeblich schaurigste Übel also, der Tod, hat für uns keine Bedeutung; denn so lange  wir noch da sind, ist der Tod nicht da; stellt sich aber der Tod ein, so sind wir nicht mehr  da. Er hat also weder für die Lebenden Bedeutung, noch für die Abgeschiedenen, denn auf  jene bezieht er sich nicht, diese aber sind nicht mehr da. Die große Menge indes scheut bald  den Tod als das größte aller Übel, bald sieht sie in ihm eine Erholung (von den Mühseligkeiten des Lebens. Der Weise dagegen weist weder das Leben von sich) noch hat er Angst  davor, nicht zu leben. Denn weder ist ihm das Leben zuwider noch hält er es für ein Übel,  nicht zu leben. Wie er sich aber bei der Wahl der Speise nicht für die größere Masse, sondern für den Wohlgeschmack entscheidet, so kommt es ihm auch nicht darauf an, die Zeit  in möglichster Länge, sondern in möglichst erfreulicher Fruchtbarkeit zu genießen. Wer  aber den Jüngling auffordert zu einem lobwürdigen Leben, den Greis dagegen zu einem  lobwürdigen Ende, der ist ein Tor nicht nur weil das Leben seine Annehmlichkeit hat, sondern auch, weil die Sorge für ein lobwürdiges Leben mit der für ein lobwürdiges Ende zusammenfällt. Noch weit schlimmer aber steht es mit dem, der da sagt, das Beste sei es, gar  nicht geboren zu sein (Theogn. 425, 427).  
 
Aber, geboren einmal, sich schleunigst von dannen zu machen.  Denn wenn er es mit dieser Äußerung wirklich ernst meint, warum scheidet er nicht aus  dem Leben? Denn das stand ihm ja frei, wenn anders er zu einem festen Entschlusse gekommen wäre. Ist es aber bloßer Spott, so ist es übel angebrachter Unfug. Die Zukunft  liegt weder ganz in unserer Hand noch ist sie völlig unserem Willen entzogen. Das ist wohl  zu beachten, wenn wir nicht in den Fehler verfallen wollen, das Zukünftige entweder als  ganz sicher anzusehen oder von vornherein an seinem Eintreten völlig zu verzweifeln.       
 



aus: Geschichte der Philosophie in Comics. Klett Verlag.


    
Besucherzähler Homepage
Zurück zum Seiteninhalt